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Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Obrigheim bei Mosbach
06.08.2012

Neue BGH-Rechtsprechung im Pflichtteilsrecht !

Der (verkürzte) Fall: 

Die Großeltern, die in Gütertrennung lebten, errichteten ein gemeinschaftliches Testament, in welchem sie sich gegenseitig zu alleinigen und befreiten Vorerben einsetzten. Ihre „noch lebenden Kinder“ wurden zu Nacherben des Erstversterbenden und Erben des Längstlebenden berufen. Ursprünglich hatten sie vier Kinder, von denen eine Tochter im Jahre 1984 vorverstorben war. Von dieser Tochter hatten die Großeltern zwei in den Jahren 1976 und 1978 geborene Enkelkinder. Nach dem Tod des Großvaters im Jahr 2006 machten diese beiden Enkelkinder gegen die zur befreiten Vorerbin eingesetzte Großmutter Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche hinsichtlich des Nachlasses ihres Großvaters geltend. Dazu forderten sie nach § 2314 I 3 BGB die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses, welches auch Schenkungen einschließlich untereinander gemachter Zuwendungen des Erblassers an die Vorerbin und an Dritte beinhalten sollte; auch verlangten sie Auskunft über unentgeltliche Zuwendungen, die der Erblasser bereits vor der Geburt der Enkelkinder vorgenommen hatte. Dagegen wandte sich die Großmutter mit dem Argument, dass es an der Anspruchsberechtigung der Enkel fehle, weil diese zum Schenkungszeitpunkt noch gar nicht geboren waren. 

Der BGH stellt in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung dar, dass der Auskunftsanspruch auch über diese Schenkungen im Rahmen des § 2325 BGB besteht. Dazu stellt der BGH sowohl auf den Wortlaut als auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ab. Es ist auch der Sinn und Zweck des Pflichteilsrechts maßgebend, wonach die Mindestteilhabe naher Angehöriger am Vermögen des Erblassers sichergestellt werden soll. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der im Erbfall Pflichtteilsberechtigte bereits zum Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt war oder nicht (so bisher BGH NJW 1997, 2676; BGH ZEV 1997, 373). § 2325 Abs. 1 BGB setzt also nicht voraus, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits zum Zeitpunkt der Schenkung (hier: vor der Geburt der beiden Enkel) bestand. 

Diese bisherige Auffassung führt nach Ansicht des BGH zu einer mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG nicht zu vereinbarenden Ungleichbehandlung von Kindern des Erblassers; sie macht das Bestehen eines Pflicht-teilsergänzungsanspruchs nur von dem zufälligen Umstand abhängig, ob die Abkömmlinge vor oder erst nach der Schenkung geboren werden. 

Praxishinweis: 

Der BGH gibt die jahrzehntealte „Theorie der Doppelberechtigung“ auf, die bisher im Pflichtteilsergänzungsrecht maßgeblich, von der Literatur jedoch angegriffen worden war. In der Tat war es lediglich dem Zufall geschuldet, ob ein Pflichtteilsergänzungsanspruch deshalb bestand (oder nicht), zu welchem nachrückende Abkömmlinge des Erblassers geboren waren. Diese Zufallsabhängigkeit wird nunmehr beseitigt. 
Die Praxis wird sich künftig darauf einstellen müssen, dass im Rahmen des Pflichtteilsanspruchs das Nachlassverzeichnis nach § 2314 I BGB vom Erben entsprechend umfangreicher erstellt werden muss, wobei selbstverständlich auch höhere Zahlungspflichten des Pflichtteilsschuldners drohen. 

Fundstelle: BGH, Urteil vom 23.5.2012 – IV ZR 250/11





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