Mit seinem Urteil vom 23.5.2012 - IV ZR 250/11 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich aufgegeben: bei der Pflichtteilsergänzung können nun auch solche Zuwendungen berücksichtigt werden, zu deren Zeitpunkt der Pflichtteilsberechtigte noch gar nicht pflichtteilsberechtigt war. Bislang verlangte der BGH eine "Doppelberechtigung" für die Zubilligung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (Urteile BGH, ZEV 1997, 373). Nicht nur zum Zeitpunkt des Erbfalls musste eine Pflichtteilsberechtigung dem Grunde nach bestehen, sondern auch schon zum Zeitpunkt der Zuwendung, wenn wegen dieser ein Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht wurde.
Nunmehr kommt es nach der Ansicht des BGH nur noch darauf an, dass eine Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Erbfalls bestand. Weitere Voraussetzungen, außer den "normalen" Pflichtteilsgrundlagen, verlangt der BGH nicht mehr.
Beispiel: Herr E schenkt seiner zur Alleinerbin eingesetzten Frau F 100.000,00 € noch vor der Geburt seines Sohnes S. Nach dem Tod von E verlangt S seinen Pflichtteil. Bislang führte die Schenkung an F nicht zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch für S, da er zum Zeitpunkt der Zuwendung noch nicht lebte. Nach der neuen Entscheidung kann S nun auch wegen dieser Schenkung seine Pflichtteilsergänzung verlangen.