Leitgedanke der Entscheidung:
Bloße Zweifel an der Testierfähigkeit des Verstorbenen reichen nicht aus, um den Erblasser für testierunfähig zu erklären. Liegen Gutachten vor, die in einem vorherigen Betreuungsverfahren eingeholt wurden, und die zeitlich sehr nahe zur Errichtung eines Testaments erstellt wurden, kann keine Testierunfähigkeit bejaht werden, wenn nicht zweifelsfrei feststeht, dass Testierfähigkeit ausgeschlossen ist.
Der Fall des Oberlandesgerichts München:
Der Erblasser, der unter Betreuung stand, errichtete ein notarielles Testament. Er hinterließ auch Immobilien. Die notarielle Urkundenformel enthielt den Hinweis, dass der Testierende wegen Schlaganfällen gelähmt war. Deshalb zog der Notar zur Beurkundung des Testaments einen Schreibzeugen hinzu. Nach Ansicht des Notars war der Testator sowohl geschäftsfähig als auch testierfähig. Dies nahm der Notar in den Urkundeneingang ebenfalls auf. Ein nur zwei Wochen vor der Testamentserrichtung eingeholtes Gutachten im Rahmen des Betreuungsverfahrens bejahte ebenfalls die Testierfähigkeit. Der Erblasser berief im Testament seine Ehefrau zur Alleinerbin und machte ihr die Auflage, eine gemeinnützige Stiftung zu errichten.
Nach seinem Tod waren die Grundbücher umzuschreiben. Das Grundbuchamt forderte hierzu die Vorlage eines Erbscheins an. Wegen der zuvor angeordneten Betreuung und weil das Facharztgutachten nicht automatisch die Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung feststellte, sei der Erbschein notwendig. Gegen diese Vorlagepflicht wurde Beschwerde eingelegt.
Die rechtlichen Erwägungen des Oberlandesgerichts:
Der Senat hebt den Beschluss des Grundbuchamtes auf, weil keine ernsthaften Zweifel am behaupteten Erbrecht erkennbar sind. Neben der Eröffnungsniederschrift zum Testament liegt eine öffentliche Urkunde über die Erbeinsetzung (notarielles Testament) vor, was zum Nachweis der Erbfolge beim Grundbuchamt genügt. Nur bei konkreten Zweifeln an der Testierfähigkeit darf das Grundbuchamt zusätzlich zu diesen Unterlagen zur Grundbuchumschreibung einen (im übrigen kostenpflichtigen!) Erbschein verlangen. Bereits die Wahrnehmungen des beurkundenden Notars stellen ein Indiz dar, um die Testierfähigkeit des Erblassers zu klären. Diese Wahrnehmungen müssen zusammen mit dem psychiatrischen Gutachten, welches nur ungefähr zwei Wochen vor der Testamentserrichtung erstellt wurde, im Rahmen einer Gesamtschau betrachtet werden. Da nur ca. 5 Monate nach der Testamentserrichtung ein weiteres fachärztliches Gutachten die Testierunfähigkeit des Erblassers nicht konkret verneinte, ist von Testierfähigkeit auszugehen.
Praxishinweis für Sie:
Ein psychiatrisches Gutachten, das in zeitlichem Zusammenhang zur Testamentserstellung eingeholt wurde, reicht in aller Regel, um die Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu klären. Bestehen Zweifel an der Testierfähigkeit, sollte eine fachärztliche Stellungnahme zusammen mit dem Testament verwahrt werden, um die Testierfähigkeit nicht zu verneinen. Nach dem Tod kann auf diese Weise eine Basis geschaffen werden, um einen Angriff gegen das Testament abzuwehren, worauf Fachanwalt für Erbrecht Wolfgang Roth aus Obrigheim hinweist.
Fundstelle: OLG München, Beschluss vom 31.10.2014 – 34 Wx 293/14