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Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Obrigheim bei Mosbach
14.04.2015Erbunwürdigkeit - Patientenverfügung - versuchter Totschlag

Tötungsversuch ohne Patientenverfügung führt zur Erbunwürdigkeit

Der Leitgedanke der Entscheidung:

Versucht ein Erbe, einen seit Jahren geschäftsunfähigen Erblasser zu töten, tritt dessen Erbunwürdigkeit ein, wenn der Erblasser weder eine Patientenverfügunghinterlassen hat, noch eine Tötung auf Verlangen vorliegt und der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen entspricht.

Der zu entscheidende Sachverhalt:

Die Ehefrau erkrankte 1997 an Alzheimer und musste 2002 in ein Alten- und Pflegeheim verlegt werden. Seit 2003 erhielt sie eine Magensonde (PEG-Sonde), über die sie künstlich ernährt wurde. Ihr Krankenzimmer verließ sie nicht mehr. Ansprechbar war sie ebenfalls nicht mehr. Ihr Ehemann, der depressiv war und bereits versucht hatte, sich selbst zu töten, wurde vom Betreuungsgericht zu ihrem Betreuer bestellt. 

Im Februar 2012 durchschnitt er mit einer Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde seiner Frau. Das Pflegepersonal entdeckte sein Tun und reparierte die Verbindung wieder. Die Ehefrau starb einen Monat später an einer Lungenentzündung. Wegen versuchten Totschlags in einem minderschweren Fall wurde er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Die Verstorbene hinterließ drei Kinder. Ein Sohn klagte auf Feststellung der Erbunwürdigkeit seines Vaters, der durch ein Ehegattentestament als Alleinerbeeingesetzt worden war. Das Landgericht gab der Klage statt, auf die Berufung hin wurde sie vom Oberlandesgericht Frankfurt abgewiesen. Der Bundesgerichtshof erklärt die Revision für begründet und verweist das Verfahren an das Berufungsgericht zurück.

Die Grundlagen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

a) Pflichtteilsstrafklausel hindert Erbunwürdigkeitsklage nicht

Das Anfechtungsrecht steht dem Sohn zu, denn ihm käme der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten, § 2341 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Erbunwürdigkeit führt dazu, dass der Anfall der Erbschaft an den Erbunwürdigen als nicht erfolgt gilt; vielmehr fällt die Erbschaft fällt demjenigen an, der berufen wäre, wenn der Erbunwürdige zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte, was auf den Sohn als Kläger zutrifft. Ein zunächst geltend gemachter Anspruch auf den Pflichtteil hindert dies nicht, auch wenn im Testament eine Pflichtteilsstrafklausel vorhanden ist. Die Pflichtteilsstrafklausel setzt voraus, dass der überlebende Ehegatte Vollerbe wird und ihm gegenüber Pflichtteilsansprüche angemeldet werden. Ist die Erbunwürdigkeitsklage erfolgreich, wird der überlebende Ehegatte gerade kein Erbe, so dass der Sinn der Pflichtteilsstrafklausel, dem überlebenden Ehepartner den Nachlass möglichst ungeschmälert zu erhalten, nicht eingreift.

b) Erbunwürdigkeit wegen fehlender Patientenverfügung

Der Erbunwürdigkeitsgrund des § 2339 Absatz 1 Satz 1 BGB umfasst auch den Fall der versuchten vorsätzlichen Tötung in einem minderschweren Fall (§§ 212, 213, 21, 22, 23 Strafgesetzbuch). Die Fälle der Tötung auf Verlangen scheiden hingegen aus § 2339 BGB aus, denn die Tötung auf Verlangen ist wie eine Verzeihung zu behandeln. Ein ausdrückliches oder mutmaßliches Einverständnis der Erblasserin am Durchtrennen der Sonde besteht nicht, wie schon das ergangene Strafurteil feststellt. Ein zulässiger Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen ist nicht gegeben, da eine Patientenverfügung nach §§ 1901a ff. BGB fehlt. Will der Betreuer den Abbruch der künstlichen Ernährung eines einwilligungsunfähigen Betroffenen herbeiführen, bedarf er in dieser Lage der Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1904 Absatz 2 BGB. Eine solche Genehmigung wurde nicht beantragt.

c) Auch menschlich billigenswerte Motive der versuchten Tötung sind irrelvant

Auf die – mitunter billigenswerten – Motive des Erbunwürdigen kommt es nicht an. § 2339 I BGB ist insoweit nicht einschränkend auszulegen; der Gesetzeszweck, eine erbrechtliche Sanktion auf schwerstes vorsätzlich begangenes Handlungsunrecht, das es als unerträglich erscheinen ließe, wenn der Nachlass des Opfers auf den Täter überginge, ist gegeben. Auch wenn sich der Täter in einer persönlich sehr schweren Situation befindet, gibt ihm das nicht das Recht, einseitig die lebenserhaltenden Maßnahmen für die Erblasserin abzubrechen, um sie zu töten. Da das Berufungsgericht diese Aspekte fehlerhaft gewürdigt hat, verweist der Bundesgerichtshof das Verfahren mit dem zusätzlichen Hinweis zurück, dass auch die Frage der Schuldfähigkeit des Erbunwürdigen zu klären sein wird, da er seine Unzurechnungsfähigkeit ausdrücklich geltend gemacht hat; ohne Schuldfähigkeit gibt es keine Erbunwürdigkeit

Praxishinweis:

Der menschlich tragische Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig die vom Gesetzgeber eingeführte Möglichkeit, eine Patientenverfügung zu errichten, ist. Hiervon sollte Gebrauch gemacht werden, um Familiendramen, wie das vorliegende, zu vermeiden. Damit der Vorwurf der Erbunwürdigkeit des Witwers entfällt, muss dieser sich nun im Zivilverfahren als "unzurechnugsfähig" erklären lassen, was demütigend ist. Aber nur so kann er seine Erbenstellung aus desm Testament behalten, worauf Fachanwalt für Erbrecht Wolfgang Roth hinweist.

Fundstelle:

BGH, Urteil vom 11.03.2015 – IV ZR 400/14





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